Ein Glücksgriff

Die praxisintegrierte Erzieher-Ausbildung ermöglicht neue Chancen – für die ausbildenden Einrichtungen und für die Auszubildenden.

Text: Sophia Schalthoff
Christian Franke ist einer der 47, die eine praxisintegrierte Erzieher-Ausbildung im Unterbezirk begonnen haben. Foto: Christian Kuck

Christian Franke ist glücklich. Das sieht man dem 39-Jährigen an. „Ich fühle mich hier pudelwohl“, sagt er und fügt hinzu: „Endlich habe ich meinen Platz gefunden.“ Sein Platz, das ist die Kita Markgrafenstraße in Bocholt. Es war kein leichter Weg für den Münsterländer, bis er sich im Sommer entschlossen hat, die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher anzutreten. Nach einem Burn-Out wird ihm über das Jobcenter angeboten, mal in eine Kindertagesstätte zu schnuppern. Das war 2018. Ein Jahr später entscheidet sich Christian Franke dann zur Kinderpfleger-Ausbildung, die er in diesem Sommer mit Bestnoten abgeschlossen hat. Es ist ihm wichtig, sich weiter, besser zu qualifizieren. „Ich wollte auch was Richtiges in der Hand haben, eine abgeschlossene Berufsausbildung“, erzählt Christian Franke. Doch die konventionelle Erzieher-Ausbildung bedeutet viel Verzicht. Erst zwei Jahre Schule, dann ein Jahr Berufspraktikum – gerade für ältere Schüler:innen oder Umschüler:innen bedeutet das eine lange Zeit ohne Einkommen, um das Leben bestreiten zu können. Da kommt die neue praxisintegrierte Ausbildung (PIA) gerade recht.

„Das ist wie eine duale Ausbildung“, erklärt Serap Uytun, Leiterin der Kita Markgrafenstraße. Im ersten Jahr wechseln sich drei Tage Schule mit zwei Praxistagen ab. Im zweiten und dritten Ausbildungsjahr geht es dreimal wöchentlich in die Einrichtung und zweimal in die Schule. „Die Ausbildungsinhalte sind gleich, nur anders verteilt“, sagt Serap Uytun. 2020 startet mit Theresa Tehlar zum ersten Mal in ihrer Einrichtung eine Auszubildende in dem neuen Ausbildunggang. „Wir waren zuerst etwas verunsichert und haben uns gefragt: Was machen wir denn jetzt mit ihr?“, erzählt die Kita-Leiterin und lacht. Bislang kamen die Berufspraktikant:innen immer schon mit zwei Jahren Theorie im Gepäck in der Einrichtung an. Bei der praxisintegrierten Ausbildung ist das etwas anders. Da wird Theorie und Praxis gleichzeitig gelehrt. Das bedeutet aber auch, dass die Azubis anfangs nur wenig theoretische Erfahrung und Hintergrundwissen mitbringen. „Dafür können wir direkt umsetzen, was wir nur Tage vorher in der Schule gelernt haben“, sagt Christian Franke.

Der große Vorteil der praxisintegrierten Ausbildung: Für Christian Franke ganz klar die Vergütung. Denn anders als bei der konventionellen Ausbildung gibt es hier bereits ab dem ersten Tag ein Ausbildungsgehalt. „Das war für mich schon entscheidend. Schließlich habe ich auch meine laufenden Kosten“, sagt der 39-Jährige. Für Umschüler:innen ist diese Form der Erzieher-Ausbildung daher attraktiver. Wie bei Ausbildungen in anderen Branchen auch, bewirbt man sich direkt bei einer Einrichtung um den Ausbildungsplatz. „Voraussetzung ist aber ein Platz an einer Fachschule für Sozialwesen“, erklärt Serap Uytun. „Dann schließt man mit dem Unterbezirk einen Ausbildungsvertrag ab.“

„Das Interesse an der praxisintegrierten Ausbildung ist sehr groß. Im letzten Jahr haben sich über 120 Interessent:innen bei uns dafür beworben“, erzählt Kerstin Schäfer. Als Fachberatung Kitas im Unterbezirk koordiniert sie in Zusammenarbeit mit den Fachbereichsleitungen die Bewerbungen, Bewerbungsgespräche und Einstellungen. Darüber hinaus steht Kerstin Schäfer auch als Ansprechpartnerin den Einrichtungsleitungen, den Praxisanleitungen sowie den Auszubildenden, den Berufskollegs und Interessierten mit Rat und Tat zur Seite.

In jeder Kita kümmert sich mindestens eine pädagogische Fachkraft um die Auszubildenden. Um sich optimal auf diese Aufgabe vorbereiten zu können, hat die AWO-Tochtergesellschaft rebeq GmbH eine Schulungsmaßnahme für Praxisanleitungen konzipiert. In insgesamt vier Modulen werden die Erzieher:innen auf ihre Aufgabe vorbereitet. Christian Franke hat gemeinsam mit seiner Praxisanleitung einen guten Weg gefunden. „Nach drei Tagen Schule ist natürlich immer viel in der Gruppe passiert. Wir tauschen uns an meinem ersten Praxistag zunächst in Ruhe aus.“ Dabei erzählt der Kinderpfleger auch immer, was gerade im Theorie-Unterricht auf dem Stundenplan stand, damit er es gleich in der Praxis umsetzen kann.

Für Christian Franke erweist sich die praxisintegrierte Ausbildung noch aus anderen Gründen als Glückgriff. „Die Praxistage sind meine Energiequelle“, sagt er. „Das gibt mir Kraft, die anstrengenden Lernphasen und Schultage zu meistern.“ Aber auch für Serap Uytun ist die neue Erzieher-Ausbildung ein Glücksgriff. „Obwohl Auszubildende noch keine volle Verantwortung übernehmen dürfen und können, so sind Christian und Theresa schon eine tolle Unterstützung für unser Team.“


INFO

Fachberatung Kitas
Kerstin Schäfer
Clemensstraße 2-4
45699 Herten
Telefon: 02366 109135

Kita Markgrafenstraße
Serap Uytun
Markgrafenstraße 56b
46399 Bocholt
Telefon: 02871 38779

Dieser Artikel stammt aus unserem Magazin „AWO erleben!“. Die gesamte Ausgabe steht hier zum Download bereit.