Ungleicher Wettbewerb um Fachkräfte

Leiharbeit wird zum Problem im Fachkraftmangel

Seit Wochen sucht Sabine Arndt, Fachbereichsleitung Gesundheitsdienste beim AWO Unterbezirk Münsterland-Recklinghausen, für den Ambulanten Pflegedienst Bocholt Fachkräfte, die das Team unterstützen. „Vor allem, wenn jemand krank wird oder im Urlaub ist, fällt für alle anderen im Team Mehrarbeit an, die kaum zu stemmen ist“, erzählt Sabine Arndt. Der Fachkraftmangel in sozialen Berufen ist längst Alltag geworden. Ein Zustand, aus dem zunehmend eine Branche Profit schlägt: Leiharbeit entwickelt sich in der Pflege, den Kitas und der Eingliederungshilfe zum Problem. Die AWO fordert jetzt klare gesetzliche Regelungen zu Rahmenbedingungen und Grenzen für Zeitarbeitsfirmen.

Foto: Paperkites

„Zeitarbeit in der Sozialen Arbeit muss dringend auf den Prüfstand gestellt werden“, sagt Melanie Queck, Geschäftsführerin beim AWO Unterbezirk Münsterland-Recklinghausen. Für eine bei der AWO in Bocholt festangestellte Pflegefachkraft fielen gemäß Tarifvertrag AWO NRW im Jahr 2022 durchschnittliche Personalkosten in Höhe von 62.500 Euro an. Musste diese Pflegefachkraft bei einer Zeitarbeitsfirma eingekauft werden, entstanden dadurch Kosten für den Träger in Höhe von rund 106.000 Euro. Eine Differenz von gut 40.500 Euro zugunsten der Zeitarbeitsfirma – bezahlt aus öffentlichen Geldern von Bund und Land sowie den Pflege- und Krankenkassen und aus Trägermitteln.

Für Leiharbeitende in den Werkstätten und Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung fallen die Mehrkosten für Fremddienstleister bisweilen sogar um 260 Prozent höher aus als für das eigene Personal. Der Gewinn für die Zeitarbeitsfirma ist gleichzeitig ein Verlustgeschäft für die Träger der Angebote, denn die Mehrkosten einer Leiharbeitskraft werden bei der Refinanzierung nicht anerkannt. Geld, das den Trägern der Wohlfahrtspflege fehlt, um ihre Angebote bereitzustellen und qualitativ und quantitativ weiterzuentwickeln. „Steuereinnahmen, die Kita-Kindern und Menschen in Notsituationen zugutekommen müsste, fließt in den privatkapitalistischen Markt. Damit dient es nicht der Allgemeinheit, sondern der Gewinnmaximierung gewerblicher Unternehmer“, sagt Melanie Queck.

Ein weiteres großes Problem: Im Wettbewerb um Fachkräfte haben die freien Träger oft das Nachsehen. „Zeitarbeitsfirmen bieten ihren Mitarbeiter*innen unter anderem feste und selbstbestimmte Arbeitszeiten, die um einiges attraktiver sind“, erzählt Sabine Arndt. „Unsere Mitarbeiter*innen müssen dann Nacht- und Wochenenddienste alleine übernehmen. Das führt natürlich auch zu Unmut im Team.“ Neben den attraktiven Arbeitszeiten winken oftmals auch Boni oder eine höhere Entlohnung. „Da können wir nicht mithalten. Dafür fehlen uns die finanziellen Mittel. Umso ärgerlicher ist es, wenn wir Fachkräfte ausbilden, die uns dann nach der Ausbildung in Richtung Leiharbeit verlassen“, sagt Sabine Arndt.

Die AWO fordert daher von der Bundes- und Landesregierung Maßnahmen gegen den akuten Fachkraftmangel, eine Ausweitung der Ausbildungsmöglichkeiten in den Pflegeschulen und Berufskollegs sowie eine Ausbildungsumlage für Zeitarbeitsfirmen in der Sozialen Arbeit. „Wir brauchen klare Regeln zur Begrenzung der Leiharbeit in der öffentlichen Daseinsfürsorge und eine bessere Finanzierung der Sozialen Arbeit durch die öffentliche Hand, um Mitarbeitenden das bieten zu können, was sie für ihre Arbeit verdienen“, sagt Melanie Queck.